Über den Film

Die langen hellen Tage (Grzeli Nateli Dgeebi – In Bloom)
Kinostart: 21. August 2014

Ein Film von Nana Ekvtimishvili und Simon Groß.

Der Festivalrenner des Jahres 2013, ausgezeichnet mit 30 internationalen Preisen und der georgische Beitrag zu den Oscars 2014.

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Die besten Freundinnen Eka (Lika Babluani) und Natia (Mariam Bokeria) werden zu jungen Frauen während der langen, hellen Sommertage 1992 in der Stadt Tiflis. Sie leben in einer Welt, in der eine geschenkte Pistole als ein Zeichen der Zuneigung verstanden wird, ein Heiratsantrag mehr wie eine Entführung wirkt und in der Liebe und Lebensgefahr nicht weit voneinander entfernt sind. Georgien ist auf sich selbst gestellt, die eigenen Eltern versagen kläglich als Vorbild und doch wissen sich die Mädchen zu behaupten. Sie sind ganz normale Teenager, die Spaß haben, gegen ihre Lehrer rebellieren, heimlich rauchen, unanständige Lieder singen und schließlich die Kette der Gewalt ganz ohne fremde Hilfe durchbrechen.

Vor der Kulisse des postsowjetischen Georgiens beschreibt der Film mit virtuoser Erzählkraft, starken Bildern des Kameramanns Oleg Mutu und musikalischem Rhythmus die prägenden Veränderungen im Leben zweier Mädchen im Teenageralter.

Autorin und Ko-Regisseurin Nana Ekvtimishvili basierte Ekas und Natias Geschichte auf den Erinnerungen an ihre eigene frühe Jugend im Tiflis der 1990er Jahre und stellt in ihrem fesselnd erzählten Film weibliche Identität und den Bruch mit veralteten Werten in den Mittelpunkt, wobei sie gemeinsam mit Ko-Regisseur Simon Groß einen klaren Blick für fein nuancierten Witz und selbstbewusste Darstellungen behält. Die Regisseure greifen ernste Themen auf, die sie mit emotionaler Wucht, aber auch mit ruhiger
Zurückhaltung darstellen. Gleichzeitig haben sie gekonnt die besondere, bezaubernde Atmosphäre der heißen, langen, hellen Sommertage Georgiens eingefangen.

INTERVIEW & STATEMENT DER REGISSEURE

Zwei leidenschaftliche Filmemacher treffen sich in Deutschland – er Berliner, der an der HFF München studierte, sie Georgierin, die an der HFF Potsdam studierte. Sie hätten einfach in Berlin bleiben können.

Stattdessen entschieden sie sich vor fünf Jahren, in Nanas Heimatstadt Tiflis zu ziehen. „Dort ist noch nicht alles im Überfluss vorhanden“, sagt Simon Groß, „unbeackertes Terrain“. Ein Vorteil für das Vorhaben der beiden, neben dem Filmemachen eine Eisdiele zu eröffnen. Der Plan ist mehr als aufgegangen: inzwischen sind sie stolze Besitzer eines kleinen Eisdielen-Imperiums mit vier Filialen und im Sommer 70 Mitarbeitern.

Die beiden Tätigkeiten sind für Simon Groß ebenso wenig Gegensätze wie Kunst und Kommerz. Das Wissen aus der Businesswelt kam den beiden bei der Selbstvermarktung ihres ersten großen, gemeinsamen Filmprojekts Die langen hellen Tage zugute. Sie treffen mit dem Film auf einen Nerv: hier sind junge Mädchen in der Lage, die oberflächliche Schicht überkommener Werte einer Gesellschaft zu überwinden.

Universelle Botschaft & aktueller Bezug:

Eine Gesellschaft an der Schwelle zum Wandel, in Unruhe und Chaos, ist universell verständlich, weil solche Situationen auch heute noch unsere Welt erschüttern, gerade wird uns dies durch die Ukrainekrise schmerzlich bewusst – gesehen durch die Augen zweier liebenswerter und ungestümer junger Mädchen. Der Film ist zugleich eine Coming-of-Age-Geschichte und eine Metapher für positiven Wandel, für Widerstand und nicht zuletzt für die Macht der Frauen.

Nana Ekvtimishvili und Simon Groß über die Entstehung des Films und die Gedanken, die dahinterstecken:

Die Geschichte ist von Nanas persönlichen Erinnerungen an ihre Jugend in den unruhigen frühen 90er Jahren in Georgien inspiriert. Wir dachten über den Bezug zwischen jungen Menschen nach und den kulturellen Kontext, in dem sie leben. Für uns war der Film eine Reise in die Vergangenheit und ein Blick in die Zukunft. Was kann als Teil einer Kultur akzeptiert werden und wo ist die Grenze, an der Kultur ein bestimmtes Verhalten nicht mehr rechtfertigen kann?

Ein Teenager ist ein Teenager, egal aus welchem Land er kommt. Alle Teenager haben eines gemeinsam: sie suchen. Unsere Charaktere suchen nach ihrer weiblichen Identität in einer Umgebung, die oft voller Gewalt und Rache ist. Sie hinterfragen, ob Liebe es rechtfertigen kann, jemanden zu töten. Die Antwort ist: natürlich nicht. Aber was, wenn du mit dieser Frage konfrontiert wirst und du hast nur vierzehn Jahre Lebenserfahrung, und du lebst in einem Land, das in Chaos, Anarchie und Selbstjustiz versinkt? Wo sind da deine Vorbilder und welche Werte können dir helfen zu überleben?

Der Krieg, die willkürlichen Ausbrüche der Gewalt, das war omnipräsent damals im georgischen Alltag. Wir wollten dies durch Radionachrichten, Bewaffnete auf der Straße und Aspekte in der Handlung, die im Hintergrund ablaufen, zeigen. Dass Natia eine Pistole geschenkt bekommt, überrascht den Zuschauer, Natia hingegen überhaupt nicht. Eka vermutet im Film, dass ihr hinter Gittern sitzender Vater etwas mit dem Tod des Vaters ihres Klassenkameraden Kopla zu tun hat. Lado wird, da er Rivale eines unzufriedenen Liebenden ist, angegriffen. Beides ist für uns heute undenkbar, damals war es aber recht alltäglich.

Die universellen menschlichen Eigenschaften dieser beiden Mädchen und die Leidenschaft und Tiefe der Charaktere und auch der Schauspielerinnen, die sie darstellen, das sind die Säulen, auf denen unser Filmsteht und die es ermöglichen, die Geschichte auf die Leinwand zu bringen.

…über die Zusammenarbeit mit dem Kameramann Oleg Mutu

Wir wollten helle, warme Bilder, ein Frühlingsgefühl und keine düstere, kalte Umgebung, die man normalerweise im Kopf hat, wenn man an diese Zeit in Georgien zurückdenkt. Und wir wollten nicht einfach die Geschichte erzählen. Wir wollten das Publikum den Charakteren folgen lassen.

In Oleg Mutus früheren Arbeiten erkannten wir, dass er als Kameramann die Charaktere absolut fühlt und es ihm gelingt, ihnen auf eine authentische, sehr intuitive Art nahezukommen. Oleg kopiert sich in seiner Arbeit für verschiedene Regisseure nie. Er ist immer auf einer Wellenlänge mit dem Schauspiel, dem Raum, der Geschichte. In unserer Art den Film zu gestalten, sind die Szenen genau durchchoreographiert und nur geschnitten, wenn unbedingt nötig. Stattdessen haben wir Wert darauf gelegt, für jede Szene den richtigen, individuellen Blickwinkel zu finden. Improvisation am Set war deshalb ein großer Teil der Arbeit. Der Zuschauer merkt am Ende oft nicht, dass viele Szenen auf diese Weise wirklich in einer einzigen Einstellung gedreht sind, weil ihn das Handeln der Charaktere intensiv beschäftigt.

… über den Prozess des Castings

Es war ein langer Prozess. Wir haben hauptsächlich Laiendarsteller gesucht und das überall. Wir waren in 100 Schulen. Wir sehen im Film viele Schulkinder und Menschen, die z. B. in der Brotschlange stehen. Das Casting war das Anstrengendste in der ganzen Vorbereitungszeit. Lika (Eka) fanden wir in einer Schule in Tiflis und Mariam (Natia) sahen wir einfach auf der Straße. Die beiden Mädchen sind sehr verschieden und waren von Anfang an voneinander fasziniert. Sie mochten sich sofort sehr, das war das Wichtigste! Die Laiendarsteller hatten kein Skript, sondern wir sprangen von Szene zu Szene, in denen sie mit uns jeden Satz im Vorfeld intensiv probten.

…über die Resonanz auf ihren Film

Auf Festivals der ganzen Welt bekamen wir sehr viel Feedback. Der Film ist bereits in Frankreich, Belgien und den Niederlanden im Kino und gerade kommt er in England, USA und Australien heraus, und auch in Russland und Ungarn.

In Georgien selbst war der Film ein großer Erfolg. Wir haben nur drei Kinos in Tiflis. In zweien von ihnen lief er und es kamen Menschen, die sonst nicht ins Kino gehen. Unvorstellbar, dass allein in diesen beiden Kinos mehr als 27.000 Menschen den Film gesehen haben! Sie sahen den Film und begannen über ihre eigenen Erlebnisse in dieser Zeit zu reden. Viele schrieben uns oder kamen zu uns, Menschen ganz verschiedenen Alters.

Die Kritiken in anderen Ländern waren sehr gut. Die Leute fingen an, über eine „New Wave“ in Georgien zu reden, über das georgische Kino, die Geschichte, die Kultur. Viele Cineasten erinnerten sich an die früheren großen georgischen Filme, besonders die aus den 70ern. Eine Sache war trotz der Unterschiede von Geschichte und Mentalität der Länder allen Zuschauern gemeinsam: sie verliebten sich in unsere beiden Hauptfiguren Eka und Natia.

(Der Text beinhaltet Auszüge aus einem Interview mit Cinema without borders.)

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Ein Spielfilm von Nana Ekvtimishvili & Simon Groß